Kokoro Okazaki, 岡崎こころ – eine Kendoka mit ganz besonderem Herzen

Im Bild ist Kokoro beim London Cup zu sehen, nachdem sie für ihren Kampfgeist ausgezeichnet wurde

Wenn man die einzelnen Stufen durchläuft, wird sich die eigene Technik verbessern. Aber die größte Veränderung findet im Herzen statt.

Kokoro Okazaki ist Ende 1991 geboren, stammt aus der Präfektur Mie in Japan und hat im Alter von 10 Jahren begonnen ihren Weg des Schwertes zu beschreiten. Dieser hat sie im letzten Jahr nun schon bis zum 6. Dan geführt. Mit den vielen Fragen, die wir ihr stellen konnten, möchten wir sie auf unserer Homepage einmal ganz persönlich zeigen. Die Fragen und Antworten sind dabei aus dem Englischen übersetzt.

 

Kannst du uns ein bisschen von deinen ersten Kendojahren erzählen?

Ich habe im Alter von 10 Jahren mit Kendo angefangen. Den ersten Kyu bestand ich mit 13 Jahren und den Nidan erreichte ich in der Junior High School. In Japan werden die meisten Prüfungen viel lokaler durchgeführt. Mein Kendo war nicht besonders kraftvoll, aber ich liebe es Kata zu trainieren.

Mein Ziel war also eher ein schönes als ein kraftvolles Kendo zu trainieren.

In Japan weiß quasi jeder was Kendo ist. Du selbst bist auch vor zwei Jahren aus Japan hierher nach Deutschland gekommen. Kannst du uns mit zurück nehmen zu deinen ersten Eindrücken über Kendo in Deutschland?

Ich war überrascht, dass es in Deutschland mehr Menschen gibt, die Kendo trainieren, als ich erwartet hatte. Außerdem habe ich eine große Liebe für Kendo und Japan gespürt.

Wenn ich mich richtig erinnere, hat deine Mutter dir und deinem Bruder vorgeschlagen, in der Schule mit Kendo anzufangen. Hast du jemals in Betracht gezogen, eine andere Sportart zu betreiben? Was hat dich dazu gebracht, bei Kendo zu bleiben?

Als ich in der Grundschule war, mochte ich Kendo eigentlich nicht. Der Grund war, dass es weh tat und ich Angst hatte. Ich wollte Tennis spielen und Marathon laufen, was mein Vater auch tat. Als ich jedoch beim Schere-Stein-Papier verloren hatte und mir die Rolle zugewiesen wurde, die Ansagen zu machen, blieb mir nichts anderes übrig, als laut zu schreien. Damals war ich froh, von meinem Lehrer gelobt zu werden, und beschloss, weiter Kendo zu üben. Mein Leben im Kendo begann aus dem einfachen Grund, dass ich weiter machte, weil ich gelobt wurde. Was ich daraus schließen kann, ist, dass die Worte eines Lehrers sehr einflussreich sind. Diese Erfahrung ist der Grund, warum ich auch jetzt, wo ich Lehrerin bin, immer noch versuche, Kinder zu loben.

Neben Kendo war ich auch Leichtathletin – gerade im Bereich der Laufdisziplinen. Wenn ich allerdings nicht regelmäßig und häufig trainiere, kann ich nicht besonders schnell oder weit laufen. Das Gute an Kendo im Vergleich dazu ist jedoch, dass man, auch wenn man eine Weile nicht geübt hat, zwar körperliche Kraft verliert, aber man kann immer noch in anderen Aspekten (mental) geübt sein. Das ist interessant, deshalb mache ich weiter Kendo.

Außerhalb des Dojos, in deinem Berufsleben, bist du Lehrerin an der japanischen Schule. Hast du jemals bemerkt, dass die Soft Skills, die du als Kendoka erworben hast, in deinem Job helfen? Gibt es vielleicht auch umgekehrt Vorteile?

Das ist sehr wahr. Erstens kann ich meinen Schülern das richtige 礼儀 (reigi – dt.: gutes Benehmen, Etikette) beibringen. Kendo hat auch die folgenden Wörter: „打って反省、打たれて感謝“ (utte hansei, utarete kansya) – Denke über den Treffer nach, und sei dankbar für den Treffer. Die Bedeutung dieser Worte ist im Unterricht sehr wichtig. Ich kann meinen Schülern diese Dinge aus meinen eigenen Erfahrungen vermitteln.

Während deiner Zeit in Deutschland hast du eine Menge erreicht. Mit am bemerkenswertesten ist, dass du letztes Jahr die Prüfung zum 6. Dan bestanden hast. Wenn du an diesen Meilenstein in deiner Karriere zurückdenkst, wie hast du diesen Tag erlebt? Hast du Tipps für Anfänger, wie sie den Weg vom Mudan (dt.: Anfänger/nicht-Danträger) zum 6. Dan bewältigen können?

Den Tag, an dem ich den 6. Dan bestanden habe, werde ich nie vergessen. Ich war zuversichtlich, dass ich die Prüfung bestehen könnte. Denn ich war an diesem Tag nicht nervös. Nervös zu sein ist nichts Schlechtes, aber es kann einen daran hindern, 100 % Leistung zu bringen. Ich habe zwei Monate lang jeden Tag 1000 Suburi geübt, um mich auf diesen Tag vorzubereiten. Ich dachte, dass ich vielleicht die einzige Person bin, die in zwei Monaten 1000 Suburi geübt hat, und das gab mir Selbstvertrauen. Das Shinsa-zyo war auch etwas Besonderes. Ich konnte Kendo auf dem Boden machen, auf dem Nora, die im gleichen Dojo Kendo trainiert, als Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft angetreten ist. Habt ihr jemals etwas so Aufregendes erlebt? Ich habe Nora beim Kämpfen zugesehen, also dachte ich, ich muss mein Bestes geben, genau wie Nora. Schließlich habe ich meinen Senseis, Angela und Haruna, von Herzen gedankt.

Wenn man die einzelnen Stufen durchläuft, wird sich die eigene Technik verbessern. Aber die größte Veränderung findet im Herzen statt. Die Gefühle des „Siegenwollens“, des „Starkseinwollens“ und der „Frustration“ werden verschwinden. Mehr noch, wenn man die Tiefe von „Ich möchte Kendo korrekt und schön machen“ und „Es macht mir nichts aus zu verlieren, ich möchte daraus lernen“ erkennt, denke ich, dass man auch den 6. Dan erreichen wird. Ich vermute, diese Idee ist anfangs schwer zu verstehen. Bis ich auf dem College war, wollte ich meistens gewinnen. Meine Kendopraxis änderte sich jedoch, als ich allmählich anfing, für meine Gegner dankbar zu sein, sie als Kendokollegen zu sehen und sie zu respektieren, egal wer sie waren.

Nun, für alle Mudane, bitte geht weiterhin mit dem Gefühl an Kendo heran, den Kampf gewinnen zu wollen. Es macht wirklich Spaß, wenn man gewinnt. Wenn ihr jedoch eure Kendofähigkeiten schneller verbessern wollt, solltet ihr darüber nachdenken, wie sehr ihr andere Dinge als Gewinnen und Verlieren schätzen könnt. Wenn man seinen Geist trainiert und sich gleichzeitig fragt „Sprecht ihr nicht schlecht über die Shinpan?“, „Kümmert ihr euch um eure Rüstung?“  und „Schätzt du 礼儀?“, dann werdet ihr große Kendoka werden, wenn ihr einen hohen Dan erreicht.

Außerdem scheint es so, als würden dich inzwischen viele Kenshi aus ganz Europa kennen. Es sieht wirklich so aus, als würdest du nach dem Motto „Freunde finden, indem man die Schwerter kreuzt“ leben. Kannst du uns etwas darüber erzählen?

Erst als ich nach Europa kam, habe ich durch Kendo mehr Freunde gefunden. Natürlich war ich auch in Japan, aber die Menschen in Europa sind unglaublich. Die Europäer sind wirklich freundlich und ich kann Freunde finden, indem ich einfach Kendo mache. Das sind nicht meine Kräfte, sondern die der europäischen Kendoka. Ich habe eine Menge von ihnen gelernt.

Manchmal findet sich im Trainingsalltag auch die Zeit für einen kleinen Spaß mit Tobias und Michi – ganz schön leicht so ein sechster Dan 😉

Wie erlebst du den Trainingsalltag bei uns im Koan-Ken-Dojo? Was denkst du über die Gruppendynamik in unserem recht breit aufgestellten Erwachsenentraining? Dienstags und freitags sind die Teilnehmer oft zwischen 20 und 82 Jahre alt, vom Kyulevel bis hoch zum 5. und 6. Dan, Frauen und Männer – wie ist das im Vergleich zum Wettkampf-Keiko am Mittwoch?

Ich verstehe Deutsch nicht sehr gut. Also habe ich gelernt, wie man sich auf Deutsch ausdrückt, indem ich die Bewegungen der Senseis beim Erklären beobachtet habe. In Japan werden Wörter oft mit Lautmalerei ausgedrückt, aber die Deutschen beschreiben sie. Das ist sehr interessant. Viele Japaner lernen Kendo mit Lautmalerei. So können wir den Unterschied zwischen Boom, Ton, Pan und Pop verstehen.

Es macht Spaß, Kendo mit Menschen aller Altersgruppen zu trainieren. Es gibt immer etwas zu lernen, egal mit wem man Kendo übt.

Ich trainiere gerne dienstags und freitags, weil es mehr Spaß macht, wenn viele Leute da sind. Mittwochs kann ich nicht oft am Training teilnehmen, aber ich denke, es ist besser, wenn es kleinere Trainingsgruppen gibt, damit wir mehr Fragen an unsere Senseis stellen können.

Gibt es neben all den Fragen noch etwas, das du mit uns teilen möchtest?

Ich möchte die Gelegenheit nutzen allen zu danken, mit denen ich in den letzten Jahren Kendo trainieren konnte. Kendo in Europa zu machen hat mir bisher die meiste Freude in meinem Kendoleben gebracht. Außerdem habe ich die Wunder des Kendo in Europa und nicht in Japan kennengelernt. Das alles habe ich den Leuten zu verdanken, die ich in Europa traf. Ich werde diese Erfahrungen auf jeden Fall in Japan teilen.

Als ganz persönliche Randnotiz möchte ich auch noch sagen, dass ich besonders viel Freude an den Fahrten nach Hause nach dem Training habe, in denen ich mit Tobias und Michi intensiv über Kendo reden kann.

Vielen lieben Dank für das Interview! Wir sehen uns im nächsten Training wieder.